Die elektrostatische Begrasung
Mit der Begrünung der Anlage nun darf man das Korsett funktionaler und vorbildgegebener Vorgaben verlassen, und der kreative Abschnitt kann beginnen; mir selbst bereitet der Landschaftsbau - das Spiel mit Formen und Farben, das Erzeugen von Impressionen - die meiste Freude.
Im Landschaftsbau haben mich vor allem die Arbeiten von Josef Brandl, Andreas Zühlke und Martin Welberg beeinflusst. Der Informationsgehalt zahlreicher Schriften, die man im Bahnhofsbuchhandel zu diesem Thema so findet, erweist sich oft als erstaunlich gering, doch die im Eisenbahn-Journal erschienenen Broschüren "Bauen wie Brandl" lieferten mir tatsächlich verwertbare Tipps. Gleichwohl wird das akribische Arbeiten nach einer noch so detailliert, praxisnah und nachvollziehbar geschriebenen Anleitung - wie etwa zum elektrostatischen Begrasen einer Wiese - bei 5 Personen zu fünf völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Landschaftsgestaltung erweist sich also nicht nur als ein erlernbares Handwerk, sondern durchaus auch als eine Kunstform, in der wir neben handwerklichem Geschick auch eine eigene Handschrift entwickeln müssen und ein Gespür dafür, mit welchen Techniken und Materialien wir zum Ziel kommen.
Nun aber ans Werk. Eine Prämisse vorab: In meinem Lollbachtal ist Herbst, Mitte bis Ende Oktober etwa. Ich ahnte, worauf ich mich angesichts der Anforderungen einer glaubhaften Farbgestaltung einlassen würde - aber gerade das Farbenspiel reizte mich.
Es empfiehlt sich, sich einen sinnvoll erscheinenden Grundvorrat an Flock, Foliage, Laub und Matten diverser Hersteller zuzulegen, sowie ein Gerät für die elektrostatische Begrasung; ich verwende das 35kV-Modell des "RTS-Greenkeeper".
Auf die Turf-Schicht, welche v. a. Moose darstellen soll, werden verschiedene Lagen Flock elektrostatisch aufgebracht.
Die nächste Vegetationsschicht wurde mit dem Elektrostaten aufgebracht. Die Arbeit mit dem Elektrostaten beschert recht schnell Erfolgserlebnisse, die zum Weitermachen motivieren. Schließlich ist der Effekt der elektrostatischen Beflockung für Neulinge doch frappierend, doch Ungeübten empfiehlt es sich unbedingt, unterschiedlich vorbereitete Pappdeckel o. ä. mit unterschiedlichsten Faserlängen und -farben zu begrasen, um Erfahrung zu sammeln. Das macht die ersten Male großen Spaß, produziert aber vermutlich erst einmal nur teppichbodenartige Flächen, die mit einer natürlich erscheinenden Wiese wenig gemein haben.
Ich habe mir im Laufe der Zeit und mit zunehmender Erfahrung einige Grundprinzipen zu eigen gemacht, die gegeben sein müssen, damit eine organische und stimmige Begrasung gelingen kann:
- Der Untergrund muss deutlich uneben sein (für alles, was kein englischer Rasen werden soll) und eine natürliche Rauheit der Geländeoberfläche bieten.
- Ich verwende speziell für die Beflockung entwickelte Kleber.
- Der Graskleber darf nur sparsam, immer nur punktuell und nie flächendeckend (außer für den englischen Rasen...) aufgetragen werden.
- Ich bringe insgesamt weniger Flock in mehr Durchgängen auf.
- Ich vermeide es, Fasern unterschiedlicher Längen beim Begrasen zu mischen.
- Fasern derselben Länge bringe ich aber gerne in unterschiedlichen Farben in denselben Leimauftrag. Dabei mische ich die unterschiedlichen Farben vorher nicht durch, weder außerhalb des Elektrostaten, noch im Becher des Elektrostaten; denn so stellt sich fast automatisch ein leicht changierendes Farbenspiel ein (vergleichbar einem lasierenden Farbauftrag nass-in-nass) und kein unnatürlich wirkender, eintöniger Farbeindruck oder - das andere Extrem - eine Wiese wie ein Flickenteppich. Die Farben der Grasfasern sollten harmonieren. So verwende ich fast ausschließlich die gut aufeinander abgestimmten Sorten von Mininatur.
- Ich bringe während des Begrasens auch Turf und Laub ins Spiel.
- Außerdem arbeitete ich, wenn immer möglich, im Freien im natürlichen Licht. Ich war überrascht, wie sehr der Farbeindruck von den Lichtverhältnissen abhängt.
Interessante Anregungen bekam ich einmal mehr von Martin Welberg (https://www.youtube.com/watch?v=UakltWBRJ_s).
Gestaltung eines kleinen Wiesen-Schaustücks zur exemplarischen Veranschaulichung der Arbeitstechnik
Im Folgenden wird anhand eines kleinen Schaustücks meine Vorgehensweise Schritt für Schritt kurz erläutert.
Im Grunde werden auf dem Modul-Arrangement alle Bereiche, auf die Grasfasern elektrostatisch aufgebracht werden, nach dem vorgestellten Grundrezept und Ableitungen davon hergestellt. Nachfolgend einige Anwendungsbeispiele:
Begrünung des Bahndamms
Ein Blick in die Natur: Im Herbst sind lange Grashalme vieler Grasarten einer (nicht frisch gemähten) Wiese längst gelblich vertrocknet, während aus dem kürzeren Untergras noch frische Triebe grün durchscheinen. Bei meinem Bahndamm sollten auch längere Gräser und eine beginnende Verbuschung dargestellt werden. So legte ich zwei Grasmischungen an:
- Für das kürzere Untergras etwa 2 Teile beige 2mm, 1 Teil Spätherbst 2mm, 1 Teil Frühling 2mm und eine "Prise" Altgold 2mm (alle von Mininatur).
- Für das längere Gras etwa 3 Teile Frühherbst 4,5mm, 1 Teil Heu 6,5mm, 1 Teil beige 6,5mm (alle von Mininatur) sowie 1 Teil Wildgras 5-6mm von Noch.
Der Graskleber wurde mit einem großen Borstenpinsel punktuell auf den Untergrund aufgetupft, jeweils auf einer Fläche von der Größe etwa einer A4-Seite. Nagel für den Gegenpol des Elektrostaten in den weichen Untergrund, und Verarbeitung der Fasern und Streumaterialien wie oben beschrieben.
Nach dem Durchtrocknen des Leims wurden überschüssige Fasern abgesaugt (in eine über das Staubsaugerrohr gestülpte alte Socke...) und aufbewahrt.
Da der Bahndamm im dargestellten Zustand ein noch junges Bauwerk sein soll, musste alle weitere höhere Vegetation sparsam gepflanzt werden. So stellte ich nur eine beginnende Verbuschung mit kleinen Abschnitten der Blätterflore "herbstgrün" und "herbstbraun" von Heki dar, die mit Alleskleber von Tesa aufgeklebt, etwas in den weichen Styrodur-Untergrund eingedrückt und anschließend mit einer feinen Schere noch etwas in Form geschnitten wurden.
Gestaltung einer Streuobstwiese
Die Wiese wirkt in einem offeneren, nicht terrassierten Teil oberhalb der Strecke auch im Herbst noch saftiger als die Wiese im terrassierten Bereich mit dichterem Baumbestand. Dies galt es auch im Modell darzustellen - allzu schnell geraten großflächig mit dem Elektrostaten angelegte Wiesen zu "teppichbodenhaft" eintönig.
Den saftigeren Teil der Wiese gestaltete ich mit Fasern von Mininatur:
- 1 Teil beige 2mm und einer Prise Frühling 2mm für die Gestaltung des Untergrases
- 3 Teile Frühherbst 4,5mm und 1 Teil Spätherbst 6,5mm für das längere "Hauptgras"
Ich versuchte auch, mit dem Finger vor Aushärten des Leims einige Flecken des Grases niederzudrücken, um Bereiche zu imitieren, in denen der Herbstwind das lange Gras niedergelegt hatte - aber es zeigte sich einmal mehr, dass Licht-Schatten-Effekte nicht einfach und ohne Überzeichnung in 1:87 umgesetzt werden können.
Für den terrassierten, spärlicher bewachsenen Bereich der Wiese wählte ich
- 1 Teil Spätherbst 2mm, 2 Teile Frühherbst 2mm für die Gestaltung des Untergrases
- beige 6,5mm für das längere Gras
An einigen Stellen, vor allem an den Stützmäuerchen, habe ich in einem zweiten Arbeitsgang gezielt einzelne Leimperlen gesetzt und mit beige 6,5mm Büschel abgestorbener Grashalme erzeugt, die ich dann zum Teil vor Aushärten des Leims noch flachgelegt habe. Das oberste Mäuerchen hat zudem noch einen Bewuchs mit Heidekraut (von Model Scene) erhalten.
Herbstmahd im Lollbachtal
Zwischen Bahndamm und Fahrweg an der vorderen Modulkante sollte auf der gesamten Breite eines Moduls die Szene einer Herbstmahd dargestellt werden. Hier ist das Gras denn auch nicht nur bloßer Untergrund für anderes, sondern quasi der Hauptdarsteller.
Der Untergrund wurde zunächst wieder sparsam mit Woodland-Turf gestaltet.
Die Szenerie wurde dann in drei Bereiche gegliedert:
1. Ganz links wird das Gras gemäht.
2. Mittig wird bereits getrocknetes Heu zusammengerecht.
3. Rechts wird das zusammengerechte Heu auf einen Heuwagen verladen.
1. Mähen
Um den Vorgang des Mähens glaubhaft darstellen zu können, musste ich eine scharfe Kante zwischen gemähter und noch nicht gemähter Wiese erzeugen. Dafür trennte ich einen Bogen Graupappe entlang dieser angenommenen Kante mit einem Cutter in zwei Teile, die beim elektrostatischen Begrasen als Schablonen dienten.
Zunächst wurde die Schablone, welche den Bereich der noch nicht gemähten Wiese abdeckt, auf dem Untergrund positioniert und mit Nägeln im weichen Styrodur-Untergrund fixiert. Für den Gegenpol des Elektrostaten habe ich gleich auf der gesamten Breite des Moduls Nägel verteilt, um später schnell "Umstöpseln" und den gesamten Bereich begrasen zu können.
Für den ersten Arbeitsgang wurde mit einem großen Rundpinsel Gras-Kleber auf den gesamten freigebliebenen Bereich sehr sparsam (die Erde darf bei der frisch gemähten Wiese großzügig durchscheinen) aufgetupft, und die Faser "beige 2mm" von Mininatur in die Kleber-Flecken geschossen. Nach Abbinden des Klebers werden überschüssige Fasern "in die Socke" gesaugt und - da sortenrein - zur Wiederverwendung ins Originalbehältnis gegeben.
Für den zweiten Arbeitsgang wurden Bereiche, die im ersten Schritt noch nicht begrast wurden, wieder sparsam mit Kleber versehen. Dabei durfte ich den Kleber nicht auf bereits begraste Flecken bringen, damit sich beim zweiten Arbeitsgang keine Büschel bilden, und die Wiese nicht in die Höhe wächst - für eine frisch gemähte Wiese ein unerwünschter Effekt. Begrast wurde nun mit einer Mischung aus "Frühling" 2mm, "beige" 2mm und "Frühherbst" 2mm von Mininatur zu etwa gleichen Teilen; ich füllte immer nur wenig von der Mischung in den Behälter des Begrasungsgeräts und variierte während des zweiten Arbeitsganges das Mischungsverhältnis leicht. Wichtig war dabei, nicht die gesamte Fläche von links nach rechts gleichmäßig mit Fasern zu verschließen, sondern mal hier ein bisschen, mal dort ein bisschen... sonst wäre das Ergebnis wahrscheinlich farblich eher uniform geworden. Ein Flickenteppich sollte es aber auch nicht werden, daher habe ich die Farbmischung immer nur sehr behutsam verändert, und genügend Erdboden frei gelassen.
Nun konnte der noch nicht gemähte Teil begrast werden. Die Schablone wurde entfernt, und mit dem zugehörigen Gegenstück nun der bereits begraste Bereich abgedeckt. Um eine scharfe Trennkante hinzubekommen, habe ich die Schablone so tief auf dem gemähten Gras positioniert wie möglich. Auch der dann aufgetragene Graskleber wurde bis direkt an die Kante der Schablone aufgetragen. Um hier auch zwischen den Grashalmen wachsende Blattpflanzen wie Klee oder Spitzwegerich zu imitieren, setzte ich meiner Faser-Mischung aus 2 Teilen "Frühherbst" 4,5mm, 1 Teil "Frühherbst" 2mm, 1 Teil "Sommer" 2mm von Mininatur kurzerhand eine ordentliche Portion "Blended Turf Green Blend" von Woodland zu, und schoss das Gemisch durchaus dicht auf, um einen Kontrast zum gemähten Bereich zu bekommen. Der noch nicht gemähte Bereich ist klein, mein Untergrund ist uneben - ich musste also keine Angst vor dem Teppichboden-Effekt haben.
Die selbe Mischung wurde nach Entfernen der Schablone auch auf den (angenommenerweise eben erst) gemähten Bereich aus der Hand aufgestreut, um das gemähte, umgefallene Gras zu imitieren. Ich fand den Effekt frappierend und positionierte das "Sensenmännlein" aus der Packung "Heuernte" von Preiser denn auch mit dem Sensenblatt direkt an der Schnittkante.
2. Das Heu wird zusammengerecht
Ein paar Meter talabwärts wurde die Wiese angenommenermaßen bereits vor ein paar Tagen gemäht, und das gemähte Gras nun zusammengerecht. Um das gemähte Gras darzustellen, verwendete ich die Fasern "Heu" in 4,5mm und 6,5mm und "beige" 6,5mm von Mininatur und streute sie auf den zuvor gestalteten Bereich der abgemähten Wiese auf. So entsteht auch ein Kontrast zum frisch gemähten Gras.
3. Das Heu wird verladen
Noch ein paar Meter weiter talwärts wird das bereits aufgeschichtete Heu zum Transport in die Scheune auf ein großes Heufuhrwerk verladen. Ich verwendete das "Pferdegespann mit Heuwagen" von Preiser. Die ab Werk im Wagen platzierte, irgendwie giftiggelbe Ladung scheint eine Fuhre Sondermüll auf dem Weg zur Annahmestelle für Schadstoffe zu sein; ich wollte da aber Heu drin haben, ließ den Einsatz verschwinden, alterte den Wagen mit Airbrush und Pinsel in diversen graubraunen und rostigen Tönen und granierte am Ende noch ein wenig mit weiß.
Bei den Fasern in diesem Teil der Szene erhöhte ich den "Beige"-Anteil gegenüber dem "Heu"-Anteil noch etwas.
Das lose Heu wurde mit billigem Haarspray (keines, das meinem Haar einen "natürlich Glanz" verspricht, denn auf meinem Modul soll nichts glänzen...!) fixiert.
Die Zugpferde bekamen ein bisschen Freilauf, bevor sie den Heuwagen wieder nach Arnshausen auf den Hof befördern müssen.
noch mehr Gras...
Wie aus einfachen Naturmaterialien vorbildgetreue Modellbäume entstehen können, und diese in der Landschaft platziert werden, lesen Sie hier.